Dr. Bernhard H. Bonkhoff: Geheimnis Glocke
Schon der Klang einer einzigen Glocke bringt die Seele des Menschen in vielfältiger Form zum Schwingen, ist es doch nicht ein einziger Ton, sondern auch dessen Ober- und Unteroktav, dazu meist die laute Mollterz und die leisere Quinte, die da mittönen. Der ‚Nachhall‘ des Glockentons, das ‚Durchziehen‘ der Glocke, hält bei guten Glocken an, solange sie läuten. Kommen weitere Glocken hinzu, mischen sich die Töne und Teiltöne zu einem unendlich unterschiedlichen Intervall, dem ‚Glockenlied‘. Glockenläuten ist eben nicht die fortwährend gleiche Tonfolge, als würde eine Turmuhr ständig schlagen, sondern das Tongewoge bestimmter Frequenzen.
Jeder Mensch verbindet etwas anderes mit dem Läuten. Dem einen sind Glocken die Stimme der Kirche oder gar die Stimme Gottes, dem andern ist es Lärm. Vielen sagen die Glocken gar nichts mehr, es läutet halt mal wieder.
Am stärksten fesselt der Glockenton, wenn er in die Stille hinein klingt, etwa am Urlaubsort oder am Sonntagmorgen in der Heimat, wenn alles noch ruht. Wer ein Ohr dafür hat oder es mit den Jahren gelernt hat, der kann die Glocken eines Geläutes unterscheiden. Und mit der Zeit redet er von ‚unseren‘ Glocken, als seien sie menschliche Wesen, gute Nachbarn.
Mit dem Aufkommen der Elektrizität wurden die Glocken ihrer Bezugspersonen, den Glöcknern, beraubt, denn auch die größten Glocken und deren Läutemaschinen reagieren inzwischen auf Knopfdruck oder Zeitautomatikeinstellung.
Die Botschaft der Glocken braucht natürlich die Bereitschaft und Offenheit der Menschen, damit sie nicht vergeblich rufen. Kein anderes Musikinstrument ist so alt und geheimnisvoll, derart vielseitig und rätselhaft wie die Glocke. Sie bringt in uns Bereiche zum Schwingen, die nicht der Vernunft unterliegen, sondern mit unserem tiefsten Inneren zu tun haben.